Ergonomie spielt eine entscheidende Rolle, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Handwerker zu erhalten. Durch die Optimierung von Arbeitsabläufen, Werkzeugen und Körperhaltungen können körperliche Belastungen reduziert und das Risiko von Muskel-Skelett-Erkrankungen verringert werden. Darüber hat „Der Maler“ mit Kerstin Steindorf von der Abteilung Gesundheit der Hauptabteilung Prävention der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft gesprochen.
Maler: Welche Rolle spielt Ergonomie auf der Baustelle im Vergleich zu anderen Arbeitsumgebungen?
Kerstin Steindorf: Allein in Abhängigkeit des Baufortschrittes sind Handwerker häufig wechselnden Arbeitssituationen ausgesetzt. Hinzu kommen klimatische Einflüsse wie Hitze, Kälte und Nässe, aber auch Lärm, Staub und großräumige Arbeitsstellen. Während in Büros oder an anderen stationären Arbeitsplätzen ergonomische Standards quasi einmalig umgesetzt werden, müssen auf Baustellen die wechselnden Arbeitssituationen und oft improvisierte Arbeitsplätze betrachtet werden, was die ergonomische Gestaltung erschwert. Die Arbeitsbedingungen sind oftmals sehr dynamisch und körperlich anspruchsvoll. Das Risiko für körperliche Beschwerden ist daher deutlich höher, was die Bedeutung von ergonomischen Maßnahmen auf Baustellen unterstreicht.
Maler: Welche typischen ergonomischen Herausforderungen gibt es speziell auf Baustellen?
Steindorf: Zu den typischen ergonomischen Herausforderungen auf Baustellen gehören Arbeiten in unergonomischen Körperhaltungen, z. B. bei Überkopfarbeiten oder beim Arbeiten in gebückter oder kniender Haltung. Aber auch das Heben und Tragen schwerer Arbeitsmaterialien oder das Hantieren mit schweren Werkzeugen sind typische Situationen auf der Baustelle. Ebenfalls vorhanden sind Vibrationen durch den Einsatz von Werkzeugen und Arbeitsgeräten.
Maler: Wie wirkt sich mangelnde Ergonomie auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus?
Steindorf: Mangelnde Ergonomie kann zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen führen, darunter Rückenschmerzen, Gelenkprobleme und Muskelverspannungen. Kurzfristig können ungünstige Bedingungen zu einer schneller eintretenden physischen Ermüdung führen, was wiederum eine erhöhte Unfallgefahr bedeutet, da die Beschäftigten weniger reaktionsfähig und aufmerksam sind. Langfristig können die Beschwerden zu chronischen Erkrankungen und Arbeitsausfällen führen. 22,3 Prozent der Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) der Maler und Lackierer sind Muskel-Skelett-Erkrankungen. Sie stehen damit deutlich vor den Anteilen der Diagnosegruppen „Atemwege“ (15,6 Prozent), „Verletzung“ (13,1 Prozent), „Psyche“ (5,5 Prozent), „Herz/Kreislauf“ (4 Prozent) und „Verdauung“ (3,6 Prozent). Der Anteil der AU-Tage für Muskel-Skelett-Erkrankungen aller Branchen liegt bei 17,4 Prozent.
Maler: Welche häufigen Fehlhaltungen oder Bewegungen führen zu Beschwerden oder Verletzungen bei den Handwerkern?
Steindorf: Überkopfarbeiten, Arbeiten in gebückter und gebeugter Haltung sowie Arbeiten in kniender und hockender Haltung gehören zu den körperlichen Belastungen der Maler und Lackierer. Diese Haltungen belasten Rücken, Nacken, Hüfte, Schulter, Arme und Knie.
Maler: Gibt es besondere ergonomische Schulungen oder Programme? Wenn ja, wie effektiv sind diese?
Steindorf: Ja, es gibt spezielle ergonomische Schulungen und Programme, die darauf abzielen, die Mitarbeiter über richtige Arbeitshaltungen und den Einsatz ergonomischer Werkzeuge zu informieren.
Die BG Bau bietet Ergonomie-Seminare, Online-Angebote und E-Learning-Angebote an. Außerdem gibt es Datenblätter zum Heben und Tragen und Präventionsangebote. Diese Angebote unterstützen die Unternehmen dabei, ergonomische Lösungen zu finden und Techniken konsequent anzuwenden.
Maler: Welche ergonomischen Maßnahmen werden bereits auf Baustellen eingesetzt, um die Belastung der Arbeiter zu reduzieren?
Steindorf: Auf vielen Baustellen werden bereits ergonomische Hilfs- und Arbeitsmittel eingesetzt, z. B. die Verwendung von Arbeitspodesten, höhenverstellbaren Arbeitstischen oder auch Teleskopstielen. Bei Schleifarbeiten an der Decke unterstützen Führungswagen oder Tragegurte die Arbeit mit Langhalsschleifern. Das Knien kann zwar durch einen Kniesitz nicht ersetzt, aber durch einen offeneren Kniewinkel erleichtert werden. Malerrollen gibt es mittlerweile aus unterschiedlichen Materialien, womit das Gewicht reduziert werden kann. Des Weiteren wurde die Ergonomie von Tapezierbürsten weiterentwickelt, ein ergonomischer Griff schont das Handgelenk und es wird weniger Kraft benötigt.
Für den Lastentransport auf Treppen setzen sich immer mehr die elektrischen Treppensteiger durch.
Maler: Wie können Baustellen so gestaltet werden, dass ergonomisches Arbeiten besser möglich ist?
Steindorf: Baustellen können durch die Planung ergonomischer Arbeitsabläufe, die Bereitstellung geeigneter Arbeitsmittel und die arbeitsplatzbezogene Schulung der Mitarbeiter ergonomischer gestaltet werden. Eine ordentliche Lagerung von Werkzeugen und Materialien verhindert Stolperfallen, erleichtert den Zugriff und vermeidet lange Transportwege. Deutliche Markierungen zeigen Gefahrenzonen und sichere Wege an, eine gute Beleuchtung verbessert die Sichtbarkeit und regelmäßige Sicherheitsbesprechungen halten das Bewusstsein für ergonomische und sicherheitsrelevante Themen hoch. Auch die Verteilung der Belastungen über die Arbeitsschicht und Kurzpausen nach körperlichen Belastungsspitzen machen ergonomisches Arbeiten besser möglich.
Eine Gefährdungsbeurteilung ist die Grundlage für die systematische Ermittlung und Beurteilung der körperlichen Belastungen auf der Baustelle. Nur wenn sie fortlaufend aktualisiert wird, können die Risiken sicher erkannt und Maßnahmen festgelegt werden. Für wesentlich erhöhte und hohe Belastungen sind Gestaltungsmaßnahmen zu treffen.
Maler: Welche Werkzeuge oder Hilfsmittel tragen zur Verbesserung der Ergonomie auf Baustellen bei?
Steindorf: Ergonomische Werkzeuge wie leichte, gut ausbalancierte Elektrowerkzeuge, Hebehilfen und Transportmittel sowie verstellbare Arbeitsplattformen tragen zur Verbesserung der Ergonomie bei. Bei schweren Werkzeugen und/oder Arbeiten in ungünstigen Körperhaltungen können an Rahmen oder Gerüsten montierte Gerätebalancer für erhebliche Entlastung sorgen. Werkzeuge mit möglichst geringen Bedienkräften und Schwingungsemissionen helfen frühzeitige Muskelermüdung und Beschwerden mit möglichen Funktionsstörungen im Finger-Hand-Armsystem vorzubeugen.
Griffe sollten so angebracht und gestaltet sein, dass das Gerät möglichst gut ausbalanciert ist, eine gute Kraftübertragung hat, sie von Links- und Rechtshändern gleichermaßen gut benutzt werden können, Breite und Länge sich der persönlichen Handform gut anpassen, keine Druckstellen in der Hand erzeugen, rutschfest sind und zudem eine ausreichende Isolation gegenüber Hitze und Kälte bieten. Auch persönliche Schutzausrüstung wie Knieschoner sind unerlässlich.