Susanne Kremeier

"Jeder hat einen Platz im Malerhandwerk"

Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen sichert den Wohlstand der Gesellschaft. Aus diesem Grund hat Susanne Kremeier, Unternehmensberaterin und Buchautorin, sich zum Ziel gesetzt, Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Im Interview beleuchtet sie die Herausforderungen, denen Betriebe gegenüberstehen, um junge Menschen als Auszubildende zu gewinnen, und betont die Notwendigkeit sozialer Verantwortung. Sie geht dabei auf die Integration von Schulabbrechern und ungelernten Arbeitskräften ein, und schlägt innovative Lösungen wie den Einsatz von Robotern vor, um diese Menschen besser zu unterstützen.

MALER: Frau Kremeier, könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?

Susanne Kremeier: Ich bin Inhaberin des Unternehmens People & Results in Düsseldorf. Ich habe BWL studiert und bin als Sales Trainee ins berufliche Leben gestartet. Mein erster Auftrag bestand darin, Latex für Dispersionsfarben zu verkaufen und in dem Zuge habe ich mit großen Farbenherstellern zusammengearbeitet. Was mich wirklich beeindruckt hat, war die Aufgeschlossenheit für Neues der Unternehmen. Latex war damals noch eine neue Idee. Die Farbenhersteller waren aber sehr aufgeschlossen, mit uns Neues zu entwickeln und waren auch immer schnell in der Umsetzung. Nach etwa 15 Jahren habe ich dann festgestellt, dass mich der Mensch und die Art und Weise, wie er Entscheidungen trifft, mehr interessieren, als für einen Konzern zu arbeiten. Da habe ich dann zum Thema Organisationspsychologie nochmal die Schulbank gedrückt. Und bin seitdem zunächst als interne, seit nunmehr 15 Jahren als externe Beraterin tätig. Ich unterstütze Unternehmen bei allen Themen und Herausforderungen im Rahmen eines Veränderungsprozesses. Auch hier gilt es, sowohl die Ergebnisse als auch den Menschen im Auge zu behalten – People and Results eben…

MALER: Ihre Mission lautet „Unternehmen zukunftsfähig machen“. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Kremeier: Unternehmen sind der Motor unseres Wohlstands. Wenn es den Unternehmen gut geht, geht es dem einzelnen Menschen auch gut. Zukunftsfähig bedeutet für mich jedoch nicht nur, das langfristige Überleben zu gewährleisten. Mir geht es auch darum, sich mit den Themen, die unsere Zukunft beeinflussen, auseinanderzusetzen. Das wären heute, neben allen geopolitischen Themen, natürlich die Effekte der Demographie sowie die Nachhaltigkeit. Und soziale Verantwortung.

MALER: Sie besuchten eine Veranstaltung, deren Fazit lautete: „Wenn ihr sexy seid, dann klappt es auch mit dem Azubi.“ Wie kann man das verstehen? 

Kremeier: Bei dieser Veranstaltung ging es darum, den anwesenden Handwerksbetrieben aufzuzeigen, wie wichtig es ist, für potenzielle Azubis attraktiv und sichtbar zu sein. Das ist sicher ein wichtiges Thema, und alle Besucher waren sich diesbezüglich auch einig. Das wird jedoch das Problem, alle Azubi-Stellen zu besetzen, nicht allein lösen können. Rein rechnerisch haben wir weniger Kandidaten als Stellen. Somit muss man sich auch mit Menschen beschäftigen, die vorerst nicht als Kandidaten angesehen werden, weder vom Arbeitgeber noch von den Kandidaten selbst: Wir haben jedes Jahr 13 Prozent Schulabbrecher. Das sind mehr als 100.000 Menschen in Deutschland. Die könnten die große Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bei den Azubi Stellen durchaus füllen. Jedoch handelt es sich hier um Menschen, die entweder keine motivierenden Vorbilder hatten, oder in der Schule nicht gefördert und gefordert wurden. Man könnte also sagen, sie haben ‚Narben‘. Nun entsteht die Frage: Wer hat die Verantwortung dafür, auch diese Menschen der Arbeitswelt zuzuführen. Sind das die händeringend nach Azubis suchenden Handwerker, der Staat, die Gesellschaft? Und schon sind wir bei der Nachhaltigkeit, die für mich auch eine große Komponente sozialer Verantwortung umfasst. 

MALER: Betriebe, die junge Menschen als Azubi gewinnen möchten, stehen vor Herausforderungen. Welche sind dies in Ihren Augen?

Kremeier: Das sind einige. Zunächst haben diese jungen Menschen aufgrund des Überangebots an Stellen die Wahl. Somit muss ein Ausbildungsbetrieb in der Tat sexy sein. Dann kommt hinzu, dass die jungen Menschen vielleicht weniger über die Aufgaben informiert sind, als wir das früher waren. Es gibt heute viel unterschiedlichere Jobs als das früher der Fall war. Zu meiner Zeit gab es zum Beispiel keine Digital Detox Agents. Da diese Jobs relativ jung sind, gibt es auch wenig Experten, die hier qualifiziert beraten könnten. Es gilt also, selbst ein Gefühl dafür zu bekommen, ob das, was man gerne macht, mit dem, was der Job beinhaltet, den man anpeilt, genug übereinstimmt. Wie gut kann sich ein junger Mensch vorstellen, was ein Heizungsinstallateur, ein Schornsteinfeger, ein Statiker machen muss?  
Und dann gibt es noch die bereits erwähnte Herausforderung der jungen Menschen, die durch die Maschen gefallen sind. Diese sind wahrscheinlich eher demotiviert und verzagt. Hier ist dann eigentlich eher eine Betreuung notwendig, damit sie erst wieder Zuversicht fassen, um danach erforschen zu können, welche Tätigkeit zu ihnen passt, welche ihnen Spaß machen könnte. Die Ausbildungsbetriebe, die sich auch mit diesen Menschen auseinandersetzen können, haben dann eine große Anzahl potenzieller Kandidaten. Allerdings wäre das ein ähnliches Thema wie das der Inklusion, wobei die Menschen ebenfalls einen anderen Betreuungsbedarf haben als die ‚Standard-Azubis‘.

MALER: Wie können (Maler)betriebe attraktiv für junge Menschen werden – was sind Ihre Ratschläge?

Kremeier: Das hängt, wie bei so vielem, vom Selbstverständnis des Unternehmens ab. Ist es ein Malerbetrieb, der mit einer Vision: ‚Wir bringen Farbe in Ihr Leben!‘ arbeitet, oder ist es ein Betrieb, der stolz auf seine Tradition und seine Professionalität ist. Beides spricht unterschiedliche Werte an, die es zu kommunizieren gilt. Entgegen vielen Unkenrufen haben die jungen Menschen durchaus Werte und Ideale. Sie möchten ihren Beitrag leisten. Also gilt es, die Arbeit so gut und so attraktiv wie möglich zu beschreiben. Beim Malerberuf ist das einfacher als bei manchen anderen. Nicht jeder kann beispielsweise sofort erklären, was ein Orthoptist ist... Wenn ein Malerbetrieb also schöne Bilder zeigt von Werken, die sie erschaffen haben oder Prämierungen, die sie erhalten haben – also Beweise für den Anspruch, den sie erheben – und dann vielleicht Kollegen in kurzen Videos beschreiben, wie diese die Arbeit im Betrieb erleben. Vielleicht auch ein paar Kunden, die begeistert von der Arbeit sind. Alles, was das Selbstverständnis des Betriebes untermalt, sollte die Attraktivität und Sichtbarkeit signifikant steigern. Und das muss natürlich auf allen sozialen Kanälen auf der entsprechenden Art und Weise veröffentlicht werden. Auf X kommuniziert man anders als auf TikTok…

MALER: Wie kommt man denn an die jungen Menschen, die „Narben“ haben ran? Was muss man im Umgang mit ihnen beachten? Wie können sie gut ins Arbeitsleben integriert werden? 

Kremeier: Das Thema ist komplex und unser Schulsystem hat schon seit langer Zeit nicht wirklich geglänzt. Eines der größten Defizite der Schule ist, dass sie den Schülern nicht beibringt, wie man lernt. Wer also in der Schule keine grundlegenden Kenntnisse erwirbt, hat es danach schwer, diese Lücken zu schließen. Es gibt natürlich auch Menschen, die trotz schwieriger Umstände ihren Weg gehen und erfolgreich werden. Diese Beispiele sind jedoch eher die Ausnahme als die Regel.
Viele Kinder, die durch die Schule gehen und zu Hause kein Vorbild haben, weil ihre Eltern selbst keine Chancen hatten, sowie Lehrer, die strenge Vorstellungen davon haben, wie man lernen und sich verhalten soll, haben das Gefühl, sie hätten keinen Platz in dieser Welt. Das prägt sie nachhaltig. Filme wie „Good Will Hunting“ zeigen, wie ein Lehrer, der sich wirklich um seine Schüler kümmert, deren Potenzial erkennen und fördern kann, und sie somit zu glücklichen und erfolgreichen Menschen macht.
Es gibt auch betriebswirtschaftliche Theorien, die diese Ansätze unterstützen, wie die Theorie Y, die besagt, dass jeder Mensch einen Beitrag leisten will. Im Gegensatz dazu steht die Theorie X, die davon ausgeht, dass Menschen zur Arbeit gezwungen werden müssen. Ich bin ein Anhänger der Theorie Y, weil ich glaube, dass jeder Mensch seinen Beitrag leisten möchte. Wenn man jedoch jemandem das Gefühl gibt, er habe keinen Beitrag zu leisten, wird er das irgendwann glauben. Dann hängt es davon ab, wie er damit umgeht – ob er aggressiv oder depressiv wird. Das ist eine sozialpolitische Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Schulabbrecher landen oft zunächst bei Institutionen wie dem Arbeitsamt oder dem Jobcenter und werden dort als ungelernte Arbeitskräfte geführt. Wenn die Regierung verlangt, dass jeder zumutbare Job angenommen werden muss, auch wenn das mit langen Pendelzeiten verbunden ist, wird das diese Menschen noch mehr fordern. Dabei sind viele von ihnen nicht wegen mangelndem Antrieb in diese Situation geraten, sondern weil sie nicht ausreichend unterstützt wurden. Sie brauchen also spezielle Betreuung, vielleicht sogar therapeutische Hilfe, um wieder Fuß zu fassen.
Die Pandemie hat die Situation noch verschärft. Viele Kinder und Jugendliche haben während dieser Zeit gelitten, und wir brauchen dringend mehr Kinderpsychologen, um ihnen zu helfen. Früher gab es in Familien oft jemanden, der den Kindern Halt gegeben hat, aber heute leben mehrere Generationen nicht mehr unbedingt zusammen. Dadurch fehlt oft der emotionale Rückhalt.
Vor rund 20 Jahren hat mich dieses Thema schon beschäftigt. Damals gab es bereits eine Million ungelernte Arbeitskräfte und gleichzeitig unbesetzte Stellen. Ich dachte, es wäre doch genial, wenn man diese Menschen und die offenen Stellen zusammenbringen könnte. Leider ist das leichter gesagt als getan, aber es zeigt, wie wichtig es ist, sich kontinuierlich mit diesen Problemen auseinanderzusetzen.

MALER: Leichter gesagt als getan…wie können diese jungen Menschen gut ins Arbeitsleben integriert werden? 

Kremeier: Ich sehe hier in der Robotik eine große Chance. Die Ursache des Problems kann man mit einem Beispiel aus der Arbeitswelt veranschaulichen: Wenn ein Roboter jemandem die Arbeit abnimmt, sollte dieser Roboter auch in der Lage sein, dem Betroffenen zu helfen, eine neue Beschäftigung zu finden. Ich habe versucht, diese Idee als Patent anzumelden, aber das Patentamt akzeptiert keine Konzepte, obwohl ich die Idee immer noch gut finde und sie mittlerweile sogar langsam Realität wird.
Es gibt viele Schulabbrecher und ungelernte Arbeitskräfte, die körperlich gesund und lernfähig sind, wenn man ihnen die richtige Unterstützung bietet. 

Das komplette Interview lesen Sie in der August-Ausgabe des MALER UND LACKIERERMEISTER.